MICHAEL Rechtsanwaelte

LG München: Kein „automatisches“ Akteneinsichtsrecht für Rechteinhaber bei Urheberrechtsverletzungen

Das LG München I hat mit Beschluss vom 12.03.2008 (5 Qs 19/08 – 382 Ujs 702186/08 (StA)) entschieden, dass im Fall von Urheberrechtsverletzungen über sog. „Tauschbörsen“ ein berechtigtes Interesse der Rechteinhaber auf Gewährung von Akteneinsicht nicht „automatisch“ aus deren Verletzteneigenschaft folgt.

Das LG schiebt mit einer umfassenden Begründung der gängigen Praxis der Abmahnkanzleien einen Riegel vor – das bloße zivilrechtliche Interesse der Rechteinhaber an der Inanspruchnahme als „Störer“ i.S.d. § 97 UrhG sei gegenüber den rechten der Anschlussinhaber als nachrangig anzusehen. Eine Besonderheit des Falles: Bei den betreffenden Dateien handelte es sich um Filmmaterial pornografischen Inhalts.

Zur Begründung führt das Gericht (Anmerkung: Hervorhebungen erfolgten durch den Verfasser dieses Beitrages) aus:

„1. Es ist bereits fraglich, ob ein berechtigtes Interesse der Antragstellerin gemäß § 406e Abs. I StPO besteht.
Anders als diese meint, folgt ein berechtigtes Interesse auf die Gewährung von Akteneinsicht nicht geradezu „automatisch“ aus ihrer Verletzteneigenschaft. Vorliegend ist vielmehr zu beachten, daß sich das Verfahren gegen „Unbekannt“ richtete und als solches eingestellt wurde. Es fehlt also an der Feststellung eines Beschuldigten.

Wie aus einer Vielzahl von Verfahren bekannt ist, und wie sich auch aus der Antragsbegründung erschliessen
lässt, richtet sich das Interesse der Antragstellerin nicht auf die Verfolgung von konkreten Urheberrechtsverletzern, sondern auf die Geltendmachung von zivilrechtlichen Ansprüchen gegen Inhaber von
Netzzugängen, gleich ob diese selbst einen Urheberechtsverstoß begangen haben oder nicht. Sie sollen
nämlich zivilrechtlich als sog. „Störer“ gem. § 97 Abs. I UrhG in Anspruch genommen werden (Seite 7 des
Antragsschriftsatzes). Es ist jedoch nicht Aufgabe der Strafverfolgungsbehörden, die Geltendmachung bloßer zivilrechtlicher Ansprüche, ohne daß eine Straftat nachweisbar wäre, zu ermöglichen. Einen Anscheinsbeweis, wie ihn die Antragstellerin zivilrechtlich für sich reklamieren will, kennt das Strafprozeßrecht nämlich nicht. Die „Auslieferung“ der Anschlußinhaber, für die im übrigen die Unschuldsvermutung des Art. 6 Abs. II MRK spricht, an die Antragstellerin liefe daher auf eine auch dem Zivilrechtprozeßrecht fremde „Ausforschung“ hinaus.
Darüber hinaus dürfte es in einer Vielzahl von Fällen bereits an dem vorbezeichneten zivilrechtlichen Anspruch
der Antragstellerin fehlen: Ein Anspruch aus § 97 Abs. I UrhG gegen den Anschlußinhaber setzt entweder
die eigenhändige Benutzung des Anschlusses oder zumindest dessen mangelhafte Überwachung
voraus. Anders als die Antragstellerin meint, ist der Inhaber einer Internetanschlusses trotz im Internet häufig
vorkommender Urheberechtsverletzungen ohne das Vorliegen weiterer Anhaltpunkte nicht verpflichtet, Familienangehörige bei der Nutzung seines Anschlusses zu überwachen (OLG Frankfurt, B.v.20.12.07, 11 W
58/07 mwN). In Betracht kommt überdies eine Nutzung des drahtlosen Anschlusses („WLAN“) durch außenstehende Dritte. Eine zivilrechtliche Haftung des Anschlussinhabers ist damit nicht offenkundig, sondern im Gegenteil fraglich. Die Gewährung von Akteneinsicht würde damit die Gefahr begründen, daß die Ermittlungsbehörden die Inanspruchnahme zivilrechtlich nicht Verpflichteter durch die Anspruchstellerin begünstigen würde – dies untermauert mit dem Hinweis auf geführte staatsanwaltschaftliche Ermittlungen.
… 

Bei den von der Antragstellerin hergestellten Filmen handelt es sich um Werke wie „Titten im Spermaglück“
oder „Los spritz ich komm“, was den eigenen Vortrag, es handele sich um „erotische/pornographische“ Werke
eindrücklich untermauert. Die Nutzung dieser Werke dient der sexuellen Neugier und Befriedigung der jeweiligen Betrachter. Die Offenlegung, daß sein Computer solche Werke speicherte, würde daher ganz erheblich in die Intimspäre und damit sogar in den besonders geschützten Kernbereich der Persönlichkeitsrechte des Computerbesitzers eingreifen. Wie ausgeführt steht dabei dessen eigener Urheberrechtsverstoß nicht einmal fest.
Anders als die Antragstellerin meint, wird dieser Eingriff auch nicht dadurch relativiert, daß die jeweiligen IPAdressen nur temporär vergeben werden: Entscheidend ist die dem Fernmeldegeheimnis unterliegende
Information, daß und welche Inhalte zu welchem Zeitpunkt von welchem Computer aufgerufen wurden. Es
handelt sich hierbei nicht – wie die Antragstellerin meint – um eine Information, die einem Eintrag in das
Telefonbuch vergleichbar wäre. Vielmehr ginge es – um im Bild zu bleiben – um die Frage wer mit wem was
(!) am Telefon besprochen hat. Diesem erheblichen Eingriff stehen auf Seiten der Antragstellerin fragliche zivilrechtliche Ansprüche (s.o.) gegenüber. Die von der Staatsanwaltschaft vorgenommene Abwägung, die informationelle Selbstbestimmung, das Fernmeldegeheimnis und Persönlichkeitsrechte der Anschlußinhaber höher zu bewerten, begegnet  keinen Bedenken, zumal – wie ausgeführt – deren eigene strafrechtliche Verantwortlichkeit für den Urheberrechtsverstoß nicht bewiesen ist. Dies gilt bereits, wenn (nur) ein einfacher Anfangsverdacht vorliegt (LG Stade, B.v.10.07.00, 12AR1/00, StV 2001, 159) und umso mehr, wenn es bereits an diesem fehlt (vgl. auch LG Köln, B.v.29.06.04, 106-37/04, StraFo 2005, 78).

Der Verweis auf Art. 14 Abs. I GG schließlich hilft der Antragstellerin nicht.  …  Ein Anspruch auf Einsicht in Ermittlungsakten kann jedenfalls daraus nicht hergeleitet werden, zumal, wie ausgeführt, auch Grundrechte Dritter abzuwägen sind.

Die Staatsanwaltschaft hat nach der gesetzgeberischen Intention, wie sie in §§ 406e Abs. V 2. Hs, 478
Abs. I Satz 3, 475 Abs. II StPO ihren Niederschlag gefunden hat, bei der Entscheidung über die Gewährung
von Akteneinsicht auch den schonenden Einsatz justizieller Mittel im Auge zu behalten. Eine positive Entscheidung zu Gunsten der Antragstellerin wäre erst nach Anhörung sämtlicher davon Betroffener möglich, was mit ganz erheblichem Aufwand verbunden wäre. Darüber hinaus wäre den so Betroffenen ihrerseits ebenfalls Akteneinsicht zu gewähren. Um nicht jedem betroffenen Anschlußinhaber die Personendaten sämtlicher anderer Inhaber zu offenbaren, müßten die Ermittlungsergebnisse mit hohem Aufwand jeweils anonymisiert werden.
 

Quelle:

Das Urteil des LG München kann im Volltext über die Internetpräsenz von MIR Medien Internet und Recht (http://medien-internet-und-recht.de) abgerufen werden (MIR 2008, Dok. 158).

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