MICHAEL Rechtsanwaelte

BVerfG: Strafrechtliche Verfolgung nach Versto

Zum Beschluss vom 31. Mai 2006 – 2 BvR 1693/04

Die Beschwerdeführer, die sich aufgrund ihres Glaubens verpflichtet sehen, bei der Kindererziehung den Maßstäben und Vorgaben der Bibel wortgetreu zu folgen und ihre Kinder von Einflüssen fernzuhalten, die den Geboten Gottes zuwiderlaufen, hielten drei ihrer Töchter seit Beginn des Schuljahres 2001/2002 vom weiteren Besuch der örtlichen Gesamtschule ab. Seither werden die Kinder zu Hause unterrichtet.

Das Landgericht sprach gegen die Beschwerdeführer wegen Verstoßes gegen die Schulpflicht eine Verwarnung mit Strafvorbehalt aus. Die hiergegen erhobene Verfassungsbeschwerde hat die 1. Kammer des Zweiten Senats des
Bundesverfassungsgerichts nicht zur Entscheidung angenommen.

Der Entscheidung liegen im Wesentlichen folgende Erwägungen zu Grunde:
1. Betätigungen und Verhaltensweisen, die aus einer bestimmten
   Glaubenshaltung fließen, sind nicht ohne weiteres jenen Sanktionen zu
   unterwerfen, die der Staat für ein solches Verhalten bei Fehlen einer
   religiösen Motivation vorsieht. Die Pflicht aller öffentlichen
   Gewalt, die ernste Glaubensüberzeugung zu respektieren, muss
   jedenfalls dann zu einem Zurückweichen des Strafrechts führen, wenn
   der konkrete Konflikt zwischen einer nach allgemeinen Anschauungen
   bestehenden Rechtspflicht und einem Glaubensgebot den Täter in eine
   seelische Bedrängnis bringt, der gegenüber sich die Bestrafung als
   eine übermäßige, seine Menschenwürde verletzende soziale Reaktion
   darstellen würde. Der bewusste Verstoß gegen Strafnormen ist jedoch
   nur als letzter Ausweg aus einem ansonsten unauflöslichen Konflikt
   zwischen staatlichen und religiösen Verhaltensanforderungen
   hinzunehmen.

2. Die Festsetzung einer Sanktion gegen die Beschwerdeführer ist
   verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden.

   Die allgemeine Schulpflicht dient dem legitimen Ziel der Durchsetzung
   des staatlichen Erziehungsauftrags. Dieser Auftrag richtet sich nicht
   nur auf die Vermittlung von Wissen und die Erziehung zu einer
   selbstverantwortlichen Persönlichkeit. Er richtet sich auch auf die
   Heranbildung verantwortlicher Staatsbürger, die verantwortungsbewusst
   an den demokratischen Prozessen in einer pluralistischen Gesellschaft
   teilhaben. Die Offenheit für ein breites Spektrum von Meinungen und
   Auffassungen ist konstitutive Voraussetzung einer öffentlichen Schule
   in einem freiheitlich-demokratischen Gemeinwesen

   Der Vortrag der Beschwerdeführer lässt eine Missachtung des Gebots
   staatlicher Neutralität und Toleranz in Fragen der Erziehung nicht
   erkennen. Mit der Vermittlung von Kenntnissen über geschlechtlich
   übertragbare Krankheiten und über Methoden der Empfängnisverhütung im
   Rahmen des Sexualkundeunterrichts hat die Schule das ihr obliegende
   Neutralitätsgebot nicht verletzt. Es ist ebenfalls nicht zu
   beanstanden, dass nach den Lehrplänen die Evolutionstheorie im Rahmen
   des Biologieunterrichts vermittelt und die Behandlung der
   Schöpfungsgeschichte auf den Religionsunterricht beschränkt bleibt.

   Die Beschwerdeführer können nicht beanspruchen, dass ihre Kinder
   vollständig von fremden Glaubensbekundungen oder Ansichten verschont
   bleiben; in einer Gesellschaft, die unterschiedlichen
   Glaubensüberzeugungen Raum gibt, gewährt die Verfassung ein solches
   Recht nicht. Zudem haben die Beschwerdeführer nahe liegende
   Möglichkeiten ungenutzt gelassen, den von ihnen empfundenen Konflikt
   zwischen Glaubens- und Rechtsgeboten aufzulösen. Sie haben es
   unterlassen, an Elternabenden teilzunehmen oder sonst ihre Besorgnis
   um die Erziehung ihrer Kinder in der Schule vorzutragen. Hinzu kommt,
   dass das vollständige Fernhalten ihrer Töchter vom Schulunterricht
   unverhältnismäßig war. Die Beschwerdeführer haben nicht dargelegt,
   weshalb nicht ein Fernbleiben ihrer Kinder nur von bestimmten
   Unterrichtseinheiten als milderes Mittel zur Sicherung ihres
   elterlichen Erziehungsrechts ausgereicht hätte. Auch sonst ist nicht
   erkennbar, weshalb es Glaubensgründe erfordert haben, ihre Kinder von
   weltanschaulich neutralen Unterrichtsfächern wie etwa Mathematik und
   Fremdsprachen abzumelden.

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