BGH stärkt Schutz behinderter Menschen vor sexuellen Übergriffen
Der Bundesgerichtshof hatte über die Revision eines Angeklagten zu entscheiden, der vom Landgericht Landshut wegen Vergewaltigung und sexueller Nötigung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sechs Jahren und sechs Monaten und dazu verurteilt wurde, dem Tatopfer Schadensersatz und Schmerzensgeld zu zahlen.
Nach den Feststellungen des Landgerichts hat der Angeklagte mehrfach den Geschlechtsverkehr (Oral-, Vaginal- und Analverkehr) erzwungen, und in weiteren Fällen vom Opfer gegen dessen Willen sexuelle Handlungen an sich vornehmen lassen. Der Angeklagte hatte der Geschädigten jeweils gedroht, deren Mutter umzubringen, wenn sie nicht mitmache oder ihn verrate. Darüber hinaus machte sich der Angeklagte jeweils die schutzlose Lage seines Opfers zu Nutze. Die junge Frau leidet seit ihrer Geburt an einer spastischen Lähmung beider Beine und ist auf einen Rollstuhl angewiesen. Auch kann sie eine Hand nicht bewegen. Sie konnte sich so der Übergriffe des Angeklagten weder ernsthaft erwehren noch sich entfernen, zumal der Angeklagte die Taten bewusst an Orten ausgeführt hat, an denen hilfsbereite Personen für die junge Frau nicht erreichbar waren.
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat die Revision des Angeklagten als unbegründet verworfen, da die Nachprüfung des Urteils keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben hat. Insbesondere durfte das Landgericht straferschwerend berücksichtigen, dass der Angeklagte in allen Fällen sowohl § 177 Abs. 1 Nr. 2 StGB (Drohung) als auch § 177 Abs. 1 Nr. 3 StGB (Ausnutzen einer schutzlosen Lage des Opfers) verwirklicht hat. Beide Tatvarianten stehen gleichrangig nebeneinander. Tendenzen, dieses gleichrangige Vorliegen der Begehungsvariante „Ausnutzen einer schutzlosen Lage“ neben der Begehungsvariante „Drohung“ zu verneinen, ist der Senat entgegengetreten. Eine derart einschränkende Auslegung des § 177 Abs. 1 Nr. 3 StGB könnte zu untragbaren Strafbarkeitslücken führen und wäre mit der vom Gesetzgeber gewollten Verbesserung des Schutzes behinderter Menschen vor erzwungenen sexuellen Übergriffen nicht zu vereinbaren. Der Schutz insbesondere von Behinderten, die zu den schwächsten und hilfsbedürftigsten Mitgliedern der Gesellschaft zählen, ist gesetzgeberisches Ziel. Der bewussten Verletzung auch dieses Rechtsguts kommt schulderhöhende Bedeutung zu.
Die Verurteilung des Angeklagten ist damit rechtskräftig.
Beschluss vom 12. Januar 2011 – 1 StR 580/10
Quelle: Pressestelle des Bundesgerichtshofes
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