BFH: Ausschlussfrist für die Antragsveranlagung bei Arbeitnehmern ist verfassungswidrig
Steuerpflichtige mit Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit können zuviel einbehaltene Lohnsteuer im Rahmen der Einkommensteuerveranlagung zurück erhalten. Die Einkommensteuerveranlagung wird bei Arbeitnehmern in vielen Fällen aber nur auf Antrag durchgeführt. Der Antrag muss nach § 46 Abs. 2 Nr. 8 des Einkommensteuergesetzes (EStG) innerhalb von zwei Jahren durch Abgabe einer Einkommensteuererklärung gestellt werden. Wird diese Frist versäumt, kann der Arbeitnehmer die Steuererstattung nicht mehr erreichen.
Der Lohnsteuersenat des Bundesfinanzhofs (BFH) sieht in der 2-jährigen Ausschlussfrist für die Antragsveranlagung eine verfassungswidrige Benachteiligung von Arbeitnehmern gegenüber anderen Steuerpflichtigen, die von Amts wegen zur Einkommensteuer veranlagt werden. Denn diese Steuerpflichtigen können bis zum Eintritt der Verjährung und damit noch nach bis zu 7 Jahren zu viel abgeführte Steuern vom Finanzamt zurück fordern. Der BFH hat deshalb dem Bundesverfassungsgericht in den Verfahren VI R 49/04 und VI R 46/05 die Frage zur Entscheidung vorgelegt, ob die Ausschlussfrist für die Antragsveranlagung gegen den allgemeinen Gleichheitssatz in Art. 3 Abs. 1 des Grundgesetzes verstößt.
Darüber hinaus hat der BFH am 22. Mai 2006 weitere, für die Veranlagung von Arbeitnehmern bedeutsame Fragestellungen entschieden.
Wiedereinsetzung in den vorigen Stand: Einem Steuerpflichtigen, der die Ausschlussfrist für die Antragsveranlagung versäumt hat, weil er sie ohne Verschulden nicht kannte, kann Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gewährt werden (VI R 51/04). Hierdurch hat der BFH die erheblichen Härten, die mit der Versäumung der Antragsfrist und dem daraus resultierenden Ausschluss vom Veranlagungsverfahren für die betroffenen Arbeitnehmer verbunden sind, bereits nach geltendem Recht für viele Fälle gemindert.
Wirksamer Antrag auf kopiertem Vordruck: Zur Form des Antrags auf Veranlagung hat der BFH entschieden, dass ein wirksamer Antrag auch dann vorliegt, wenn der Steuerpflichtige einen –auch einseitig– privat gedruckten oder fotokopierten Vordruck der Einkommensteuererklärung verwendet, der dem amtlichen Muster entspricht (VI R 15/02).
Antrag entbehrlich, bei Steuerfestsetzung von Amts wegen: Für die Durchführung eines Veranlagungsverfahrens bedarf es keines Antrags des Steuerpflichtigen auf Veranlagung mehr, wenn das Finanzamt das Veranlagungsverfahren von sich aus bereits durchgeführt und Einkommensteuer festgesetzt hat (VI R 15/05).
Keine Änderung bestandskräftiger Veranlagungen: Der BFH hat klargestellt, dass § 46 EStG keine Rechtsgrundlage für die Änderung bestandskräftiger Steuerbescheide ist (VI R 17/05). Ein fristgerechter Antrag auf Veranlagung als solcher kann deshalb nicht zu einer erneuten Einkommensteuerfestsetzung führen, sofern bereits ein bestandskräftiger Einkommensteuerbescheid ergangen ist.
Verlustausgleich zu berücksichtigen: Für Arbeitnehmer, die Einkünfte auch aus anderen Einkunftsarten beziehen, und bei denen deshalb eine Veranlagung von Amts wegen nach § 46 Abs. 2 Nr. 1 EStG in Betracht kommen kann, sind bei der Ermittlung der Summe der nicht dem Lohnsteuerabzug zu unterwerfenden Einkünfte im Veranlagungszeitraum 1999 außerdem die Vorschriften über den Verlustausgleich in § 2 Abs. 3 EStG i.d.F. des Steuerentlastungsgesetzes 1999/2000/2002 zu berücksichtigen (VI R 50/04).
Der BFH wird Ende September 2006 abschließend noch weitere Revisionsverfahren zur Arbeitnehmerveranlagung entscheiden. Insbesondere wird die Frage geklärt werden, ob das Finanzamt nicht nur bei positiven Einkünften von mehr als 410 €, sondern auch bei entsprechenden Verlusten aus anderen Einkunftsarten eine Veranlagung von Amts wegen durchzuführen hat. Wäre diese Frage zu bejahen, müssten Arbeitnehmer in Verlustfällen regelmäßig keinen Antrag auf Veranlagung mehr stellen. Die Verluste wären dann auch ohne die zeitliche Beschränkung, die sich aus der Ausschlussfrist für die Antragsveranlagung ergibt, zu berücksichtigen.
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