MICHAEL Rechtsanwaelte

BVerfG : Prozesskostenhilfe bei höchstrichterlich noch nicht geklärter Rechtsfrage

BVerfG Beschluss vom 14. Juni 2006 – 2 BvR 626/06; 2 BvR 656/06

Prozesskostenhilfe bei höchstrichterlich noch nicht geklärter Rechtsfrage (hier: zeitlicher Anwendungsbereich der Asylantragsfiktion nach § 14 a AsylVfG)

Zwei Verfassungsbeschwerden, die die Anforderungen an die Gewährung von Prozesskostenhilfe für unbemittelte Kläger betrafen, hatten vor dem Bundesverfassungsgericht Erfolg. Die beiden im Jahr 2002 in Deutschland geborenen Beschwerdeführer sind Staatsangehörige von Serbien und Montenegro. Die von ihren jeweiligen Eltern durchgeführten Asylverfahren sind bestandskräftig negativ abgeschlossen. Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge lehnte auch
die Asylanträge der Beschwerdeführer ab und forderte unter Androhung der Abschiebung zur Ausreise auf.

Im fachgerichtlichen Verfahren war umstritten, ob das Bundesamt zu Recht davon ausgegangen war, dass Asylanträge für die Beschwerdeführer gemäß § 14 a Asylverfahrensgesetz als gestellt zu gelten hatten. Die hier maßgeblichen Teile des § 14 a Asylverfahrensgesetz lauten wie folgt:
„Reist ein lediges, unter 16 Jahre altes Kind des Ausländers nach dessen
Asylantragstellung ins Bundesgebiet ein oder wird es hier geboren, so
ist dies dem Bundesamt unverzüglich anzuzeigen, wenn ein Elternteil eine
Aufenthaltsgestattung besitzt oder sich nach Abschluss seines
Asylverfahrens ohne Aufenthaltstitel oder mit einer Aufenthaltserlaubnis
nach § 25 Abs. 5 Satz 1 des Aufenthaltsgesetzes im Bundesgebiet aufhält.
(…) Mit Zugang der Anzeige beim Bundesamt gilt ein Asylantrag für das
Kind als gestellt.“ Die Fiktion der Antragstellung soll verhindern, dass
durch sukzessive Asylantragstellung überlange Aufenthaltszeiten in
Deutschland ohne aufenthaltsrechtliche Perspektive für die Betroffenen
entstehen. Da die Bestimmung erst mit dem Zuwanderungsgesetz am 1.
Januar 2005 in Kraft getreten ist, stellte sich die Frage, ob sie auch
für die bereits im Jahr 2002 im Bundesgebiet geborenen Beschwerdeführer
anzuwenden war.

Auf ihre Klage hin gewährte das Verwaltungsgericht den Beschwerdeführern
Eilrechtsschutz. Ihr Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für
das Hauptsacheverfahren hingegen wurde mangels Erfolgsaussicht
abgelehnt. Die hiergegen gerichteten Verfassungsbeschwerden waren vor
der 2. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts
erfolgreich.

Der Entscheidung liegen im Wesentlichen folgende Erwägungen zu Grunde:
Art. 3 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip gebietet eine
weitgehende Angleichung der Situation von Bemittelten und Unbemittelten
bei der Verwirklichung des Rechtsschutzes. Dies schließt es nicht aus,
die Gewährung von Prozesskostenhilfe davon abhängig zu machen, dass die
beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg hat. Die
Anforderungen an die Erfolgsaussicht dürfen dabei jedoch nicht
überspannt werden.

Zwar muss Prozesskostenhilfe nicht immer schon dann gewährt werden, wenn
die entscheidungserhebliche Rechtsfrage noch nicht höchstrichterlich
geklärt ist. Die Ablehnung der Gewährung kann ungeachtet des Fehlens
einschlägiger höchstrichterlicher Rechtsprechung gerechtfertigt sein,
wenn die Rechtsfrage angesichts der gesetzlichen Regelung oder im
Hinblick auf von bereits vorliegender Rechtsprechung bereitgestellte
Auslegungshilfen ohne Schwierigkeiten beantwortet werden kann (vgl.
BVerfGE 81, 347 <359>). Ist dies dagegen nicht der Fall und steht eine
höchstrichterliche Klärung noch aus, so läuft es dem Gebot der
Rechtsschutzgleichheit zuwider, dem Unbemittelten wegen fehlender
Erfolgsaussicht seines Begehrens Prozesskostenhilfe vorzuenthalten (vgl.
BVerfG, a.a.O.). Denn dadurch würde der unbemittelten Partei im
Gegensatz zu der bemittelten die Möglichkeit genommen, ihren
Rechtsstandpunkt im Hauptsacheverfahren darzustellen und von dort aus in
die höhere Instanz zu bringen

Danach hat das Verwaltungsgericht die Anforderungen an die
Erfolgsaussichten der Klagen überspannt. Die entscheidungserhebliche
Frage, ob § 14 a Abs. 2 Asylverfahrensgesetz auch auf vor dem 1. Januar
2005 geborene oder eingereiste Kinder Anwendung findet, war zum
damaligen Zeitpunkt weder in der Rechtsprechung des zuständigen
Obergerichts noch gar in der des Bundesverwaltungsgerichts geklärt und
konnte, wie sich in der ausgeprägten Uneinheitlichkeit der
verwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung zeigt, nicht als einfach und
eindeutig beantwortbar erachtet werden. Den Eilanträgen der
Beschwerdeführer hat das Verwaltungsgericht denn auch mit der Begründung
stattgegeben, der zeitliche Anwendungsbereich des § 14 a
Asylverfahrensgesetz müsse einer Überprüfung im Hauptsacheverfahren
vorbehalten bleiben. Die gleichzeitige Verweigerung von
Prozesskostenhilfe für eben diese Hauptsacheverfahren ist nicht
nachvollziehbar. Sie verletzt die Beschwerdeführer in ihrem Recht auf
Rechtsschutzgleichheit.

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