MICHAEL Rechtsanwaelte

Aktionsbündnis fordert wissenschaftsfreundlicheres Urheberrecht

Nicht nur Filesharer bekommen die Restriktionen des deutschen Urheberrechts täglich zu spüren. Auch Wissenschaft und Forschung sehen die neuen Urheberrechtsregeln als innovationsfeindlich an. Diese Wissenschaftler haben sich zu einem Aktionsbündnis zusammengeschlossen, welches sich nun in einem offenen Brief an die Bundeskanzlerin wendet.
Offener Brief an die Bundeskanzlerin Frau Dr. Merkel: Wir brauchen ein ,,bildungs- und  wissenschaftsfreundliches Urheberrecht“.

Verehrte Frau Bundeskanzlerin, sehr geehrte Frau Dr. Merkel,

die aktuelle Novellierung des Urheberrechts gibt dem Aktionsbündnis ,,Urheberrecht für Bildung und Wissenschaft“ Anlass, sich direkt an Sie zu wenden. Zum Aktionsbündnis gehören sechs der großen deutschen Wissenschaftsorganisationen (Fraunhofer-Gesellschaft, Helmholtz-Gemeinschaft, Hochschulrektorenkonferenz, Leibniz-Gemeinschaft, Max-Planck-Gesellschaft, Wissenschaftsrat), rund 270 Fachgesellschaften, Bibliotheken und Informationseinrichtungen sowie über 4000 Einzelpersönlichkeiten.

Als Bundeskanzlerin, die mit den Anforderungen und der Praxis des Wissenschaftsbereichs bestens vertraut ist, werden Sie, wie wir hoffen, unsere Befürchtungen und Sorgen zur aktuellen Urheberrechtsentwicklung sicher verstehen und ihnen Rechnung tragen können. Im Sinne Ihrer Politik der Verlässlichkeit vertrauen wir auf den Koalitionsvertrag, in dem das Ziel eines ,,bildungs- und wissenschaftsfreundlichen Urheberrechts“ ausdrücklich formuliert ist.

Der vorliegende Novellierungsentwurf ist aber weder bildungs- noch wissenschaftsfreundlich. Wer kann dies besser einschätzen als diejenigen, die aktiv in den Bereichen Bildung und Wissenschaft tätig sind? Vielmehr schätzen wir die vorgesehenen Regelungen für den Wissenschaftsstandort Deutschland als fortschritts- und innovationsfeindlich ein und damit sicher auch nicht im Interesse der Wirtschaft liegend.

Wir verzichten hier auf Einzelhinweise zum Gesetzesentwurf. Wir haben dazu ein ausführliches Positionspapier vorgelegt (www.urheberrechtsbuendnis.de/docs/ABStellungnahmeKorb2.pdf). Der Zugriff auf den Rohstoff ,Information‘ droht massiv beeinträchtigt zu werden. Auch die jüngste Reaktion des Bundesrates zum Novellierungsentwurf hat deutlich gezeigt, dass ein freizügiger Zugang zu Wissen und Information in Bildung und Wissenschaft den Verwertungsinteressen der Informationswirtschaft nicht nach- oder untergeordnet werden darf. Die nun eingebrachten Regelungen des Novellierungsentwurfs werden im Fall ihrer Verabschiedung vor allem folgende Auswirkungen haben:

Bereitstellung und Nutzung digitaler Informationsmaterialien und Literatur wird sich für Schulen, Weiterbildungseinrichtungen und Universitäten überproportional verteuern.

Die Studienbedingungen an deutschen Hochschulen und deren Wettbewerbsfähigkeit im nationalen und internationalen Kontext werden sich massiv verschlechtern. Wie sollen sich Schüler und Studenten fit für die Informationsgesellschaft machen, wenn der Zugriff auf qualifizierte digitale Informationen mit hohen Kosten und zusätzlichen Restriktionen verbunden ist?

Für die Wissenschaft wird der Zugriff auf die weltweite Information nur noch eingeschränkt und zu hohen Kosten erfolgen können. Die Deckung des Informationsbedarfs allein durch die Suchmaschinen des Internet ist sicher nicht als ausreichend zu betrachten.

Kooperationsprojekte zwischen Wirtschaft und Wissenschaft werden sich noch schwieriger als bisher gestalten, wenn die dafür erforderlichen Ressourcen der Bibliotheken wegen des mittelbaren oder unmittelbaren kommerziellen Interesses nicht mehr genutzt werden dürfen.

Das Potenzial der mit hohen Investitionen erfolgten Vernetzung von Schulen und Hochschulen wird bei Weitem nicht ausgeschöpft werden. Wozu ist in die Netzwerke investiert worden, wenn diese nicht für die Informationsversorgung aus der Bibliothek genutzt werden dürfen?

Das Aktionsbündnis bestreitet in keiner Weise, dass die Rechte der Urheber an ihren veröffentlichten Werken stark bleiben müssen, noch, dass die Informationswirtschaft rechtliche Sicherheit für die Verwertung der oft mit hohen Investitionen begleiteten Informationsprodukte braucht. Das Aktionsbündnis ist keine Kampagne gegen die Interessen der Informationswirtschaft. Doch die Balance, die bisher mit dem Urheberrecht gegeben war, muss erhalten bleiben. Die Potenziale der modernen Informations- und Kommunikationstechnologien müssen für Bildung und Wissenschaft freizügig genutzt werden können. Schranken im Urheberrecht, also Ausnahmen von dem exklusiven Recht der Urheber und Verwerter, im Interesse von Bildung und Wissenschaft sind insofern keine kleinteiligen Zugeständnisse, sondern zwingend erforderlich, damit sich die Informations- und Wissensgesellschaft in unser aller Interesse weiterentwickeln kann.

Die Bundesregierung wird sicher zu der Kritik des Bundesrates Stellung beziehen müssen. Wir vertrauen auf Ihre Verantwortung und Sensibilität für Bildung und Wissenschaft, Frau Bundeskanzlerin. Greifen Sie mit Ihrer Richtlinienkompetenz selber in das Verfahren ein. In der Sache steht für Wissenschafts- und Informationsfreiheit zu viel auf dem Spiel, als dass diese einer Politik überlassen bleiben kann, die sich überwiegend der Urheberrechtssystematik und den Brüsseler Vorgaben verpflichtet sieht. Wir möchten Sie bitten zu überprüfen, ob nicht die Rücknahme des Gesetzesentwurfs derzeit die bessere Lösung wäre, damit der Diskurs zur Erstellung eines Konsenses ohne Zeitdruck erfolgen kann. Soll der Zweite Korb aber doch jetzt Gesetz werden, so möchten wir Sie dringend auffordern, unseren im beiliegenden Text aufgeführten Vorschlägen und Bedenken Rechnung zu tragen.

In der weiteren Perspektive bitten wir Sie, Ihren anstehenden Vorsitz des Rates der Europäischen Union dafür zu nutzen, die geltende EU-Richtlinie 2001/29/EG zur Harmonisierung des Urheberrechts in den EU-Partnerländern einer gründlichen Revision zu unterziehen. Diese in ihren Annahmen veraltete Richtlinie erweist sich zunehmend als Hindernis für die jeweils nationale Gesetzgebung, wie der in Deutschland nun auf den Weg gebrachte Novellierungsentwurf mehr als deutlich zeigt. Wir begrüßen es zudem, dass Sie in den bevorstehenden G8-Verhandlungen das Thema des regulierenden Umgangs mit Wissen und Information zum politischen Top-Thema machen wollen. Dabei sollte die Einsicht Platz greifen, dass nur eine Politik des freizügigen Umgangs mit Wissen und Information – und damit eine Politik der offenen Innovation – die Entwicklungschancen für alle Menschen und für alle Länder fördern kann, nicht aber die derzeit dominierenden Verknappungsstrategien.

Mit freundlichen Grüßen

— der Sprecher des Aktionsbündnisses —

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